Meltemi

Paros, wir verlassen den kleinen Hafen und legen uns noch in der großen Bucht in Naousa vor Anker, für Dienstag ist Südwind angesagt, der kommt auch tatsächlich heftig, am Abend dann binnen einer Stunde, weniger Wind, kein Wind und heftiger Wind aus Nordost. Der Hafenmeister hat schon gewarnt, in einigen Tagen kommt der Meltemi, bei starken Winden kann der Hafen gefährlich werden, die meisten Yachten laufen aus, der Hafen leert sich. Am Dienstagnachmittag wird eine Yacht mit Motorschaden in den Hafen geschleppt, notdürftig vertäut und anschießend der Hafen gesperrt. Wir sind froh draußen zu sein, der Anker hält gut und wir haben genug Platz um im Notfall zu reagieren, wenn es unsicher wird. Mittwoch früh dann weiter, die Frage ist nur wohin? Wann kommt der Meltemi, wie heftig, wo sind wir geschützt? Andere Segler empfehlen, man rettet sich zum Peloponnes, wer nicht auf den Kykladen bleiben muss verschwindet, denn hier wird es über Tage ungemütlich. Meltemi ist hier so bedrohlich und gefährlich wie in Kroatien die Bora, auf den Windkarten wird eine Zunge aus orange bis dunkelrot gezeigt, dass sind 35 bis 45 Knoten, bis zu 80 km/h Wind, die mehr oder weniger von den Kykladen verschluckt. Unser erster Schritt ist in Richtung Westen aufzubrechen, die nächste Insel, die wir ohnehin anlaufen wollten, ist Seriphos. Ein schöner Segeltag, die Bucht ist groß, wir ankern und treffen wieder einige der Boote, die wir schon in den letzten Häfen gesehen haben. Auch Henry, ein Engländer ebenfalls mit einer Ovni, man unterhält sich und tauscht Erfahrungen aus. Er möchte gleich am Donnerstag weiter, in der Früh leert sich der Hafen und die Bucht, mindestens zwanzig Yachten brechen auf, der Tag ist allerdings windstill, alle motoren nur um weg zu kommen. Wir bleiben, obwohl es uns schon sehr komisch vorkommt so fast alleine hier zu stehen, aber 40 Meilen und mehr motoren können wir uns nicht vorstellen, da muss es eine andere Lösung geben. Die Ruhe vor dem Sturm, welche Bedeutung diese Redewendung in dieser Situation bekommt, wie spürbar die Verunsicherung, das ängstliche Warten auf dass was kommt, denn es kommt sicher was, der Sturm. Es ist schwierig sich die Heftigkeit vorzustellen, die Vorhersagen sind wage, zuerst kommt nochmals Wind von Südwest, erst ab Samstag Nordwest, ab Sonntag soll es dann losgehen. Sollen wir doch bleiben und abwarten? Wenn wir gut liegen, dann pfeift es halt um uns herum. Henry hat einen Muringblock gefunden, der auf drei Meter Tiefe liegt, wir nehmen uns den Platz am Donnerstag, hier können wir auch den Meltemi abwarten. Ein Profiskipper, den wir noch befragen konnten meint, es werden so 35 Knoten sein, mit Fallwinden deutlich mehr, hier im Hafen kann man trotzdem bleiben, bis Dienstag, dann sollte es wieder besser werden. Aber alle sind sich einig, heftiger Meltemi war heuer noch keiner, jetzt wird er schon mal kommen und zeigen was er drauf hat. Wir besuchen noch die Chora und genießen den ruhigen Tag, es beginnt leicht zu regnen, in der Früh eine mystische Stimmung zwischen Regenwolken die aufgehende Sonne, leichter Wind, wir haben Ehrfurcht vor den Naturgewalten und brechen auf, wollen bis Abend am Peloponnes sein. Schon bald ist der Himmel ausgeputzt, Wind und Welle wird stärker, wir reffen, können aber nicht dort hinfahren wo wir sollten, der Wind dreht auf Nord und lässt dann fast vollkommen aus. So war das nicht angesagt, man kann sich nicht verlassen, was erwartet uns jetzt in den nächsten Stunden, es wird Nacht werden bis wir, wo auch immer ankommen. Was können wir erreichen? Sollten wir nochmals Cup Sounion anpeilen, der Wind legt es nahe, dann doch wieder Wind aus Südwest, jetzt können wir wieder Hydra anlegen und nördlich davon am Peloponnes Schutz suchen. Sonne, weite glitzernde Wasserfläche, im Süden der Horizont, hinter und vor uns schemenhaft die Konturen der Inseln, alles weit hinter uns und noch Stunden vor uns. Eine lange Fahrt steht uns noch bevor, sanft wiegend geht es durch die Wellen, der Wind moderat, Genusssegeln, wer weiß wie lange? Ist es feige oder vernünftig dem Sturm auszuweichen, bis jetzt haben wir immer nur kurze Vorstellungen von heftigen Winden gehabt, meist mit schlafloser Nacht, denn schlafen kann man nicht wenn die Umgebung tobt. Wir werden beide auch sehr ruhig und nachdenklich, so eine Vorahnung was uns auf einer langen Reise noch alles erwartet. Es wird nicht immer möglich sein auszuweichen, alle Segler berichten von brenzligen Situationen, wir müssen uns seelisch auch drauf einstellen. Jetzt sind wir aber trotzdem erleichtert und sicher die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Der Peloponnes wartet noch mit schönen Ausflügen und die Kykladen erreichen wir vielleicht nächsten Frühling noch mal, heuer kehren wir ihnen früher als gewollt den Rücken. Sicher ist sicher.

Langsam wird das Land vor uns deutlicher, der Wind nimmt zu und zuletzt rauschen wir bei Halbwind zwischen Peloponnes und der Insel Hydra ein. Der Himmel vor uns eine Mischung aus Wolken in allen Grauschattierungen, dazwischen türkisblau und rotorange der Sonnenuntergang. Ein Farbenspiel auf das wir direkt zusegeln, ein Gefühl der Freiheit, Erhabenheit, des Einssein mit der Natur. Ein langer Tag, Anspannung, Ungewissheit, Flucht vor dem Sturm, zuletzt schiebt er noch deutlich an, sodass wir die zusätzlichen zehn Seemeilen auch noch nehmen und den sicheren Hafen Ermioni ansteuern. Zuerst vor Anker, denn der Wind hat bereits Sturmstärke und die Nacht ist dunkel, da lassen sich Distanzen schlecht abschätzen und Hindernisse kaum sehen, also auch da sicher ist sicher. Diese Bucht kennen wir schon, der Grund aus Lehm hält wie Klebstoff und dass der Ort uns als schmutzig und nicht besonders attraktiv in Erinnerung ist, stört uns heute nicht. Wir sind die einzigen die ankern, die Molen scheinen voll belegt, fast 23 Uhr, heute geht nichts mehr. Morgen werden wir uns an die Mole verlegen und das Boot gut fixieren, dann kann der Sturm kommen, wir liegen sicher und können die Zeit auch für Landausflüge nutzen, denn segeln müssen wir nicht, wenn's für uns und für's Material grenzwertig wird.

Ermioni entpuppt sich diesmal als weitaus netter als wir es vom ersten Besuch in Erinnerung hatten, die Mistkübel sind größtenteils geleert, die Straßen sauber, ein ruhiger netter Eindruck, unterstützt von der Erleichterung und Dankbarkeit, hier einen sicheren Platz zu haben an dem wir die nächsten Tage bleiben können. Momentaufnahmen einer Reise, erste Eindrücke, die sich auch ändern können, nicht nur real, sondern auch emotional, denn ein Sicherheitsgefühl färbt vieles schöner als es ist, wenn man scheinbar eine größere Auswahl wunderbarer Orte hat. Eine Erfahrung die mich nachdenklich macht, wie oft geht es uns im Alltag so. Was beeinflusst unsere Stimmung zu Ort und Situation, meistens erleben wir es nicht so deutlich, doch Sturm und all die Gefühle die da frei werden bewegt eben. Sturmtage, Hafentage, Samstag benötigen wir zum Rasten und Lesen, der Wind ist noch moderat, zumindest hier am Peloponnes. Sonntag dann unser geplanter Ausflug nach Hydra. Mit der Schnellfähre vormittags hin und nachmittags zurück, fünf Stunden um sich den Ort und die Umgebung anzusehen und auf sich wirken zu lassen. Der Ort, die Stimmung, auch der zunehmende Wind, einige Versuche von Yachten doch im kleinen Hafen anzulegen, wir sind voll von Eindrücken und mit den Gedanken immer wieder bei unserem Boot. Hoffentlich ist alles in Ordnung, keine Leine gerissen, niemand in uns rein gefahren. So ist es auch, der Tag klingt ruhig aus, obwohl der Wind ständig und heftig pfeift. Montag dann noch mehr von der Vorstellung, über 30 Knoten in den Böen, Grundwind um die 25 Knoten, es entsteht schon deutlicher Schwell, die Boote werden zwischen den Leinen, die sich abwechselnd spannen hin und hergezogen. Die Bewegung ist ein bisschen wie tanzen, ein Schritt vor, einer zurück, einer seitlich usw. Da sich nichts aufschaukelt und auch nichts raunzt und kläppert, ist es gut auszuhalten. Lesen und Hafenkino, eine kleine Runde mit dem Fahrrad, sonst nichts Aufregendes. Morgen soll der Wind wirklich nachlassen, dann kann`s wieder weitergehen. Meltemi überstanden oder besser am Rand des Sturmkeils alles gut abgewartet.