Zwischen den Welten
Letzte Einkäufe, alles verstauen, Wasser bunkern, in der Marina abmelden und Schlüssel zurückgeben, letzte Emails beantworten und schreiben, denn ab jetzt werden wir nur zeitweise ins Internet können. Bis Mittag muss alles erledigt sein, denn um ca. 14 Uhr ist der höchste Wasserstand damit wir in der Lagune nicht aufsitzen. Wie vor jedem ersten Auslaufen Anspannung, ist alles bedacht, alle Handgriffe nochmals durchgesprochen, dann ablegen und unter Motor den Fluss hinunter in die Lagune von Lignano. Ca. um 15 Uhr fahren wir an Lignano vorbei, leichter Wind, wir beschließen Richtung Venedig los zu Segeln, schließlich wollen wir ja nach Griechenland, oder zumindest zügig Richtung Süden. Weil der Wind einschläft bleiben wir in der Höhe von Caorle auf der endlosen Sandfläche stehen. Die Welle, die bis nach Mitternacht nachrollt, macht das Schafen unruhig, ein Schmorbrand an den Kabeln am Nachmittag beschäftigt uns ebenfalls noch. Zum Glück haben wir es bereits gerochen bevor der Brandmelder uns alarmiert hätte.
So war der Schaden nur gering und Robert konnte alles rasch wieder richten. Der verschmorte Kabelgeruch begleitet uns noch lange, hat er sich in den Kabelkanälen hinter den Wandverschalungen überallhin ausgebreitet. Für die erste Woche ist wenig Wind angesagt, zum eingewöhnen an und für sich gut, doch wenn so gar nichts weiter geht, passt es auch nicht. So bleiben wir für die zweite Nacht in der Lagune südlich der Lagune von Venedig wieder auf weiter Sandfläche stehen. Diesmal ist es bis Mitternacht windstill, dann kommt immer stärkerer Wind, noch dazu anlandig auf. Wir müssen weg. Ölzeug anziehen, Geräte ein, alles vorbereiten zum Ankerauf und weg. Diese zweite Nacht haben wir uns eigentlich auch anders vorgestellt, erste Nachtfahrt, müde, angespannt, die Signale vom AIS helfen uns die vielen Lichter am Wasser zuzuordnen. Um halbfünf in der Dämmerung sehen wir auch, dass die unbeweglichen Lichter zu unzähligen Plattformen gehören die vor der Küsten im Wasser stehen. Bei gutem Wind geht es jetzt weiter Richtung Süden. Wir schaffen es bis am Nachmittag nach Pesaro, dort wollen wir anlegen um die nächste Nacht wirklich gut schlafen zu können. Fahrtensegeln, nämlich Strecke machen, gehört nicht zu den großen Freiheiten an die man denkt, von denen man träumt wenn man losfährt. In diesen Zeiten gibt es mindestens so viel Zwänge und Unannehmlichkeiten wie im Arbeitsalltag, nur keinen Chef der einem was anschafft oder nervt, zum Glück ist da alles selbst gewählt. Vielleicht ist es deswegen angenehmer und leichter zu nehmen. Die italienische Küste ist zum Anlegen eine Katastrophe, im Hafen von Pesaro muss man sich anmelden, per Telefon geht gar nichts, am Funk meldet sich der Kapitän. Nach drei ausführlichen Funkgesprächen in denen er alles Mögliche wissen wollte können wir einlaufen und an der Mole vor einem Fischkutter festmachen. Dann zum Capitano anmelden. Ein junger fescher, sehr netter Capitano der sich auch amüsiert was er da alles für sich und sein Formular wissen muss. Er möchte, dass wir uns morgen abmelden und wünscht uns eine gute Reise. Das war`s, keine Kosten, das ist ungewohnt wenn man sonst in Kroatien unterwegs war wo man fürs Ankern teilweise auch schon zahlen muss.
Pesaro ein Ort in den man sonst als Urlauber kaum kommen würde, oder vielleicht doch. Es gibt eine Menge Hotels, einen langen Strand mit vielen Schirmen, Freizeiteinrichtungen, Sportanlagen, Cafés und viel Leben. Ein langer Spaziergang durch die Gassen, ein gemütlicher Café am Strand und ein gepflegter Sundowner an Bord, eine ruhige Nacht im Tiefschlaf. Jetzt hat sich der neue Alltag eingestellt, viel Zeit für alles was man im Arbeitsalltag kaum unterbringt, Bewegung, auch meine Pilatesübungen kann ich an Bord regelmäßig machen, erster Muskelkater von noch ungewohnten Bewegungen, aber kein Kreuzweh, das soll auch so bleiben.
Und was ist jetzt mit der Arbeit? Geht sie mir ab? Ist da diese Leere und bleierne Müdigkeit, wie bei einem Burnout? Bis jetzt noch nicht, der andere Alltag hat mich mit all seiner Faszination, ich segle und die Bewegung im Schiff beschäftigt mich stetig, bei den leichten Winden sanft und gemütlich. Es kann aber auch hart werden, bei Starkwind, immer wachsam und vorbereitet. das ist Bordroutine, so wie Alltag an Land.
Jetzt geht es weiter Richtung Süden, Genackersegeln vom Feinsten, ich denke es wird noch einige Zeit brauchen bis sich im neuen Leben auch lesen und arbeiten wieder ausgeht, ich möchte ja noch einiges bearbeiten und schreiben, jetzt muss aber mal Zeit fürs Segeln sein, alles einspielen, zur Gewohnheit machen. Abenteuer braucht scheinbar auch viel Vertrautes, alles ständig neu und unbekannt wäre zu viel.
Zwischen den Welten, interessant, das gilt auch für unseren Mikrokosmos Boot. Hier sind wir zu zweit, Leben auf engstem Raum, das stellen sich alle sehr schwierig vor. Was macht man da den ganzen Tag? Da hat man sich sicher bald nichts mehr zu erzählen! Vielleicht ist es die Unterschiedlichkeit die das Zusammenleben so spannend, so ausgleichend, so lohnenswert macht. Robert ist viel mit der Technik beschäftigt. Er kalibriert alle Anzeigen, man glaubt ja gar nicht, was alles verstellt sein kann. Momentan ist alles verkehrt, der Windanzeiger zeigt Vorwind obwohl wir hart am Wind fahren, Geschwindigkeit 1,4 Knoten, obwohl wir fast 5 Knoten fahren, auch die Kompasse, deren wir ja mit GPS drei haben, zeigen alle was anderes an. Und unsere angeschmorten Kabel müssen auch mit neuen Sicherungen neu verkabelt werden. Auch das erledigt Robert so nebenbei. Eben Techniker in seiner Welt. Wenn er liegt dann ruht er oder denkt nach, auf jeden Fall ist nachher meist rasch wieder irgendetwas gerichtet oder verbessert. Ich werde dann eingeweiht und versuche all die Details und Neuigkeiten auch zu behirnen, vielleicht brauche ich das Wissen mal. Jedenfalls beschleicht mich immer wieder das Gefühl was die Technik an Bord anbelangt ziemlich abhängig zu sein. Ich bin auf funktionstüchtige Instrumente angewiesen, sonst muss ich per Hand segeln und mich nach mechanischen Anzeigen orientieren, so wie beim Jollensegeln.
Dafür ist das Segeln meine Welt. Ich beobachte und trimme, lege Kurs, weiche jedem Fischernetzfähnchen aus und von denen gibt es tausende, manchmal stehen sie in Farmen zusammen. Wenn man das System mal durchschaut hat kann man zumindest den größten Ansammlungen ausweichen, dann bleiben nur noch die verstreuten so ca 10- 15 in Gruppen oder so der Länge nach aufgefädelt. Da kann man dann schön daran vorbeifahren. Aber wenn man so 15 Minuten mal nicht beobachtet hat man sicher schon eines wieder übersehen. Und dann kommt ein Fischerboot rasch auf uns zu, dreht kurz vor uns ab und wirft neue Fähnchen ins Wasser. Das ist derzeit meine Welt. Viel Zeit den Gedanken nachzuhängen und nebenbei auch den kleinen bescheidenen Haushalt zu führen. Auch da gibt es vertrautes aber auch wieder anderes. Es soll so wenig wie möglich herumliegen, also nichts für Kinder an Land, wo alles irgendwo fallen gelassen wird. Alles soll auf seinem Platz sein, erstens damit man es rasch findet wenn benötigt und zweitens damit es bei Seegang einem nicht um die Ohren fliegt. Und wenn der Wind auffrischt hat man wirklich mehr wie genug zu tun, da ist kaum Zeit zum aufräumen. Geschirr gewaschen wird daher auch sobald möglich, meist während der Fahrt draußen am Meer, denn da ist das Wasser sauberer, denn wenn möglich wasch ich mit Meerwasser, um unseren Süßwasservorrat zu schonen. Die Bewegung mit der Fußpumpe ist rasch wieder vertraut, geht einem an Land fast ab.
Fahrtensegeln ist eben auch anders als chartern. Da geht man davon aus, dass alles passt und Haushalt gibt es für die kurze Zeit auch nicht wirklich. Gesegelt werden eher kurze Strecken in Revieren in denen man eben Urlaub machen möchte. Hier die Küste von Italien ist zumindest kein Seglerurlaubsrevier, man fährt endlos der Küste entlang, jede Annäherung ist mühsam, wegen der Fähnchen und Buchten in denen man ruhig und geschützt ankern kann gibt es gar keine. Wahrscheinlich müssten wir uns umgewöhnen und beherzt Häfen und Marinas anfahren, beides für uns ungewohnt. Die langen Strecken machen auch Tagnachtfahrten nötig, auch das sind wir noch nicht gewohnt, oder sind wir noch zu bequem, ist jede Nachtfahrt für uns aufregend und anstrengend. Jetzt wo ich die Zeilen schreibe, denk ich darüber nach ob wir nächstes Jahr oder später auf diese Zeit mit einem Lächeln zurückblicken, wenn sich die ersten Sorgen und Probleme relativieren, wenn Nachtfahrten was Normales sind, wenn Distanzen und Zeit eine andere Dimension bekommen haben. Die heutige Tagesdistanz von Pesaro nach Ancona sind gerade mal 50 km, also ca 45 Minuten mit dem Auto, das ist weniger als früher meine Strecke nach St. Pölten- wie unterschiedlich doch die Welten sind. War mein Alltag früher durchgeplant und gefüllt, vielleicht überfüllt, da gibt`s noch Luft, da könnt man noch was erledigen, ist jetzt eine andere Zeit, bin ich ein anderer Mensch, oder eben der andere Teil von mir. Neugierig und voller Tatendrang, aber auch zufrieden und genießerisch. Und auch in dieser Welt ist der Tatendrang wieder gefragt. Jeder Tag bringt neues, Wetter muss beurteilt werden, Tagesziele und Alternativen überlegt. Was möchten wir uns anschauen. Wo möchten wir hin? Für die nächste Zeit gibt es ganz wenig Fixpunkte und dadurch braucht es mehr Aufmerksamkeit und Beschäftigung mit sich selbst und seiner Umgebung. Auch das ist neu in dieser Welt. Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass man entweder zufrieden ist und versucht seine Tage positiv zu füllen und zu leben und von allem etwas zu haben, ausgewogen, auch von allen Gefühlen beseelt, dann ist es wahrscheinlich nicht so wichtig wo man ist. Und viel davon lässt sich wahrscheinlich auch in der Arbeitswelt leben, nur ist man vor lauter Geschwindigkeit und Aufträgen oft nicht mehr in der Lage sich auch um die kleinen Dinge des Alltages zu kümmern. Oder zumindest ist es mir zeitweise so ergangen.