Überfahrt Kap Verden

Auf El Hierro hat es uns gut gefallen, wir wollten bis zum Wochenende bleiben, doch der tägliche Blick auf die Wetterseiten gefällt uns gar nicht. So ab Samstag oder Sonntag zieht die nächste Front mit Starkwind über die Kanaren, hier in diesem Hafen bläst es dann, wie bereits erlebt, noch um einiges heftiger als angesagt, also am besten vorher noch weg. Erstens wollen wir uns das Gezerre und Geschaukel hier sparen und zweitens befürchten wir, dass es nach der Front wieder wenig, gar keinen Wind oder Wind aus Süden gibt, würde weiteres warten bedeuten, wollen wir aber nicht.

Mittwoch ist uns dann doch zu hektisch, wir kommen Dienstag erst spät und doch erschöpft von unserer Wanderung zurück, Donnerstag sollte es aber dann wirklich sein, wir wollen ja einen Vorsprung vor dem Starkwind haben und bei den auf der Karte angesagten 15-20 Knoten zügig nach Mindelo segeln. 
Wir sind wie immer etwas angespannt, Robert, ob wir auch gut aus dem Hafen raus kommen und dann hoffentlich auch nichts kaputt geht was so schnell nicht gerichtet werden kann, ich, weil wir uns an das Geschaukel und Geklapper erst gewöhnen müssen und bei dem Wind von hinten werden wir sicher auch nicht zu wenig Welle haben. Mein Vertrauen in die Technik ist nach wie vor recht gut und ich hab ja meinen Robert der wirklich fast alles wieder hinkriegt, damit deutlich weniger Sorgen. Trotzdem, wir packen den wasserdichten Sack mit Ausweisen und allen Habseligkeiten die im Falle des Falles in die Rettungsinsel mitkommen sollten, da kann die stärkste Psyche nicht am Thema vorbei.

Der Start klappt wie immer gut, um 9 Uhr sind wir draußen und setzen die Segel, gleich im zweiten Reff, denn wir wollen uns ja nicht anstrengen und Reffen bei hoher Welle ist eine unangenehme Arbeit. Erstmals auch die Fock am Babystag, ist wesentlich kleiner als die Genua und noch nagelneu. Dazu ist die Windsteueranlage am Heck montiert und wartet auf ihren Einsatz, bei so vielen neuen Playern ist die Feineinstellung wieder eine Herausforderung. Mit viel Zeit und Geduld optimiert Robert die Leinenführung der Windsteueranlage, damit sie einen optimalen Zug auf das Ruder bringen kann, nur so arbeitet sie verlässlich. Nach ausgiebiger Spielerei funktioniert alles auch recht gut, wir surfen auf einer tiefen Raumen, also fast vor dem Wind mit sechs Knoten und mehr dahin. Blöderweise legt der Wind stetig zu, wir verkleinern nochmals die Segelfläche, das dritte Reff im Groß und trotzdem erzeugt jede etwas höhere Welle so viel Ruderdruck, dass alle unsere technischen Helferlein das Handtuch werfen. Die Halterung aus Gusseisen an der Windsteueranlage verbiegt sich, die Leinen haben erste Scheuerstellen, wir steuern aus der Hand und plagen uns so schon in der ersten Nacht. Zuerst 30 Knoten in den Böen, dann 30 konstant und bis zu 40 in den Böen, rauscht die Front von den Kanaren jetzt schon über uns dahin oder wo kommt sonst der viele Wind her? Schlafen ist bei der Schiffsbewegung und dem Lärm der sich daraus im Schiff ergibt fast unmöglich. In der zweiten Nacht, wieder vorwiegend hinterm Steuer, wenn schon nicht selbst an der Arbeit doch zumindest jederzeit eingreifbereit, denn jede Welle könnte das Boot wieder in den Wind drehen und Wellen könnten querschlagen, gehört rasch wieder korrigiert. Der Wetterbericht am Kurzwellenfunk meint es wird ungefähr so bleiben, na toll. Genau so einem Wetter wollten wir ausweichen, was sind dann die Wettervorhersagen wert? Und eigentlich sollte die Großwetterlage am Atlantik ganz gut vorhersagbar sein. 

Wir müssen uns den Begebenheiten fügen und können nur hoffen, dass es doch bald den vorher angesagten deutlich bequemeren Wind geben wird. Ich wünsch mir bei jeder Sternschnuppe, dass dieses Geblase jetzt bald aufhört, nutzt nichts, schads auch nicht. Was auch immer geholfen hat, ab dem vierten Tag ist es dann auch so. Die 20 bis 25 Knoten kommen einem fast wie ein laues Lüfterl vor, wie subjektiv unsere Wahrnehmung doch ist, andernfalls würden wir diesen Wind schon recht stark empfinden.

Wir reffen wieder aus und rauschen mit bis zu sieben Knoten dahin, 150 Seemeilen ist unser größtes Etmal (die gesegelte Strecke innerhalb von 24 Stunden), wir notieren immer ab zwölf Uhr mittags bis zum nächsten Tag um zwölf. Die Wellen sind immer noch keine lange Atlantikdühnung, sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen, das Wasser sieht aus wie in einem Kochtopf. Die hohen Wellen sind sehr steil, brechen mit blau-weißem Kamm und wenn eine gerade noch unterm Boot durchgerutscht ist baut sich die nächste schon bedrohlich auf. Oft schlägt eine hart von der Seite ans Boot und die Gischt spritzt herein, besonders unangenehm wenn sie direkt von hinten über dem Schiff bricht, was sie aber leider auch mal tut. Ich verschwinde, gerade hinter dem Steuer beschäftigt, unter der Wasserwand, das Cockpit ist zehn Zentimeter mit Wasser gefüllt und auch das Innere vom Schiff hat eine gute Ladung abbekommen. Im Cockpit läuft das Wasser rasch wieder ab, unter dem Boden zurück ins Meer, wo es auch hin gehört und nimmt den roten Staub und Dreck mit. Schön sauber ist das Schiff nach der Dusche, das ist aber auch das einzig Positive, Robert löst mich ab, wieder mal umziehen und unten aufwischen, feuchter Boden ergibt akute Rutschgefahr, da helfen keine aufgestellten gelben Warnschilder. Und weil ich schon mal am Boden herumkrabble werfe ich einen Blick drunter in die Bilge, auch da steht Wasser, nicht viel aber doch, wo kommt das her? Wasser im Schiff ist immer ein Alarmzeichen. Erster Schritt beobachten, zweiter so bald möglich ausschöpfen, für die Bilgenpumpe ist es zum Glück noch zu wenig.

Die ersten Tage vergehen mit steuern, Wellen beobachten, sich an die mühsame Art der Fortbewegung gewöhnen und rasten, wenn geht schlafen so viel möglich. Die Müdigkeit ist schon bemerkbar, der Niedergang ist seit der Überschwemmung geschlossen, zumindest solange weitere Attacken drohen. In der dritten Nacht sind wir sogar beide draußen und wechseln uns in kurzen Abschnitten am Ruder ab, man glaubt es kaum, aber am Boden im Cockpit zusammengerollt schläft es sich dann fast am besten. Aus Erschöpfung und vielleicht auch weil dort weniger Bewegung als unten ist und weil man näher am Geschehen ist, weniger Überraschungsmoment, wie auch immer, die Nacht vergeht auch. Wir haben beide das Schwerwettergewand an, so heiß ist es ohnehin nicht, besonders in der Nacht verträgt man schon Pullover und Jacke und der Rest der Wäsche kann jetzt mal trocknen. Kommt dann in Mindelo zur Schmutzwäsche, weil salzige Wäsche, besonders Pullover immer feucht und pickig bleiben.

Interessant, der Mond geht schon auf bevor die Sonne untergegangen ist, wir haben wieder mondhelle Nächte, leider verschwindet er aber schon wieder bevor es hell wird. In der Früh ist es zwei Stunden stockdunkel, so gegen sieben beginnt es langsam hell zu werden, kein Sonnenaufgang, nur ein bisschen rosa und dann ist es hell und die Sonne scheint. Wir sind am 20. Breitengrad, also schon recht nahe am Äquator, Tag-Nacht sind ungefähr gleich lang, romantische Sonnenauf- und untergänge gestrichen, Hauptsache es wird jeden Tag wieder hell, wir freuen uns wenn die Nacht vorbei ist, besonders die anstrengenden. 

Kochen ist bei diesen Bedingungen eine Turnstunde, die man sich gut überlegt, blaue Flecken zeichnen sich schon ab. Nur wenn der Hunger wirklich groß ist rafft man sich auf, schraubt den Topf am Herd an und kocht, Dinge die zumindest eine dickflüssige Konsistenz haben und mit Löffel gegessen werden können, unser schon vorbereitetes Stifado wärmen war da die leichtere Übung, für die nächsten Mahlzeiten musste ich schon mehr herum zaubern. Trotzdem gelang es mir jeden Tag und wir haben es auch vom Topf in die Schüsseln und von dort in den Magen bekommen ohne damit das Boot zu versauen. Ein frisches Brot und einen Apfelkuchen, um das Backrohr gleich gut zu nutzen, konnte ich auch backen. Erst am vierten Tag essen wir gemeinsam, von Tellern die vor uns am Tisch stehen, welch Genuss, bescheiden wird man. Und wir sitzen das erste Mal einfach so herum und ich lese.

Die halbe Strecke liegt jetzt schon hinter uns, wir kommen auf diesem Bug rasch Richtung Süden, aber zu wenig Richtung Westen, also jetzt sollten wir langsam die Segelstellung ändern. Jetzt ist es soweit, Passatbesegelung ist angesagt, ein Segel Backbord, eines Steuerbord, es geht mit Groß, fixiert mit Bullstander in Backbord und der Fock ausgebaumt steuerbords. Bis alles richtig steht und das Schiff langsam eine deutlich ruhigere Fahrt aufnimmt dauert es ganz schön lange, aber für die nächsten drei Tage rentiert sich fast jedes Segelmanöver, wir segeln direkt auf Mindelo zu. Es kehrt Ruhe ein, wir beginnen uns zu entspannen und sind erleichtert, dass wir so gut vorankommen, genauso sollte es dann auch weiter über den Atlantik gehen, die Windsteuerung arbeitet im Großen und Ganzen verlässlich, nur hin und wieder beginnt sie schön langsam sich aus dem Kurs zu winden, für mich ohne ersichtlichen Grund, kein Winddreher, keine besonders große Welle, ist halt doch ein sensibles Ding, möchte immer wieder Aufmerksamkeit und die bekommt sie auch reichlich von uns.

Jetzt können wir uns schon deutlich leichter auf dem Schiff bewegen und nutzen die Gelegenheit auch gleich um anstehende Arbeiten zu erledigen, Bilge ausschöpfen zum Beispiel, denn auch wenn man es nicht sieht, das Wasser ist immer noch da unter dem Boden. Es ist zum Glück Süßwasser, unser Wassertank hat einen Entlüftungsüberlauf in die Bilge und dort kommt bei so viel Welle und Lage halt doch immer wieder ein bisschen Wasser raus. Insgesamt so 20 Liter, denn wir sind ja mit vollem Wassertank von El Hierro los.

Und weil es jetzt schon recht easy ist, Tag fünf, gleich wieder ein frisches Brot, dieses macht sich mit einem lauten Knall bemerkbar, ein Blick verrät das Unglück. Das Thermoglas an der Backofentür ist geborsten und hunderte Kugerl laufen im Boot herum. Aufkehren ist fast noch blöder als aufwischen, die Kugerl lassen sich gar nicht so leicht wieder einfangen, aber was uns natürlich, abgesehen von der Beseitigung der Sauerei, Sorgen bereitet ist, warum das so ist. Das Brot ist zum Glück schon fast fertig, den Rest muss es mit rasten schaffen, wir schalten das Gas gleich mal ab. Dort ist auch der Fehler und der könnte fatal sein. Der Gasregler ist gebrochen oder was halt in dem Ding drin kaputt gehen kann, er reduziert den Gasdruck der Flasche nicht mehr und wir bekommen das Gas mit hohem Druck an den Herd. Zum Glück sind wir nicht explodiert, wie war das mit der Rettungsinsel? Wolle gar nicht dran denken, fertig mit kochen und die erste Aufgabe für Mindelo steht schon auf der Liste. Ein neuer Gasregler muss her oder wir müssen zur Not auf die alten Campinggasflaschen umsteigen bis wir in der Karibik so ein Teil bekommen. Und statt der Scheibe sollte auch was an die Backofentür, Robert denkt da an ein Blech, denn Spezialglas richtig zugeschnitten und gebohrt werden wir hier wahrscheinlich nicht bekommen.


120 Meilen sind es noch bis Mindelo, ideal für einmal Tag-Nacht, Mittwoch früh sollten wir ankommen. Man kann es auch mit drei Schleppangeln nicht erzwingen, eine verheddert sich unentwirrbar, viel Arbeit beim Einholen, Robert flucht vor sich hin. Kein frischer Fisch, jetzt müssten wir ihn ohnehin roh essen und in Mindelo gibt es guten und günstigen Fisch am Markt. Trotzdem schade.

Die fliegenden Fische, die nächtens auf unserem Deck landen, stinken so, dass wir sie wieder zurück ins Meer werfen. Die muss wer anders essen, da drin gibt es bestimmt wen, dem die schmecken. In der Früh liegen sie schon steif herum, die Unfallopfer, wollten sie doch mit der fliegenden Flucht dem Gefressen werden entgehen, blöd gelaufen für die armen Kerle.


Pünktlich zum Sonnenaufgang, den es ja nicht gibt, biegen wir in den Kanal zwischen Sao Vicente und Santo Antao ein. Die Fock muss weg, mit dem Groß alleine rauschen wir dahin, Düseneffekt mit Böen, wir sind vorbereitet und so nah an Land ist man ohnehin am Steuer. Die Bucht von Mindelo ist riesig, nicht zu verfehlen, keine Steine im Weg, Segel runter, alles notdürftig befestigt und verstaut, Fender und Leinen herrichten, oder sollen wir vorerst noch ankern? Über Funk meldet sich niemand von der Marina, keine Hilfe beim Anlegen und die Unsicherheit ob man einen Platz erwischt, an dem man auch bleiben darf. Bei 25 Knoten ist ohnehin jedes Manöver riskant, wir nehmen den äußersten Platz am äußersten Steg, da kann man am wenigsten kaputt machen, zwei Segler von diesem Steg helfen uns netterweise und nehmen die Leinen an.

9:30 Motor aus, wir liegen, sind angekommen, glücklich erschöpft, trotzdem noch viel zu tun. Zuerst noch dicke Leinen zusätzlich ausbringen, denn hier pfeift es ungemütlich und wieder der Schwell, wie in La Restinga nur halt knappe 800 Meilen weiter südwestlich. Wir stehen gleich neben den letzten Booten der Canaria Island Regatta, werden auch gleich vom deutschen Regattaleiter angesprochen, er überhäuft uns mit nützlichen Tipps. Dann besucht uns auch gleich ein netter österreichischer Segler und noch ein paar andere und so schnell haben wir noch nie alle wichtigen Informationen gehabt und alle offiziellen Schritte erledigt, Marina, Marinapolizei, Imigration, dann Internetwertkarte, Geldwechsel. Da ist uns ein kleiner Fehler unterlaufen, statt der gewünschten 300 Euro wechseln wir nur 30, so ein Nullerfehler bei der Umrechnung, 100 Escudo sind etwa ein Euro. Fürs erste wurscht, gibt’s weniger zum Stehlen bei uns.

Zu Mittag sind wir zurück am Boot, erste Eindrücke von Afrika, einige Geschichten, wie immer besonders die, wo was passiert ist, wer überfallen, beklaut oder sonst wie zu Schaden gekommen ist, reicher. Wir lassen uns die gute Laune nicht verderben.

Eine rasante Überfahrt, anstrengend und toll, ein großes Stück Atlantik liegt jetzt schon hinter uns, wir sind bereit für den großen Schlag, aber vorher noch die wichtigen Kleinigkeiten richten und die Kap Verden genießen.