Gibraltar

Eben waren wir noch auf Ibiza, eine Woche später liegt die Insel schon weit hinter uns. Nicht wenn man die Distanz betrachtet, sondern der Fülle der Erlebnisse wegen. Jede Überfahrt, jede längere Strecke eine Herausforderung. Wir starten gleich freitagfrüh, noch vor Sonnenaufgang, es geht zügig dahin, nur in der Nacht ein paar Stunden Flaute, dann wieder guter Wind bis Cartagena, unser angesteuerter Hafen. Samstagmittag sind wir angekommen, hier sind wir mit der Crew der Chenoa verabredet, welche wir auf Sardinien kennen gelernt haben. Sie haben uns den Tipp und Informationen zum Hafen gegeben und außerdem sind sie schon länger hier und es ist eine gute Gelegenheit sich wieder zu treffen. Es gibt auch Neuigkeiten, Cornelia bricht hier die Reise ab, sie geht zurück nach Deutschland, Segeln ist doch nicht so ihres, sie hat Angst und kann es nicht genießen. Daher wird Stefan mit unterschiedlichen Mitseglern die Reise fortsetzen. Sein Plan nach Brasilien und um Cup Horn zu segeln, in die wilden und gefährlichen Segelreviere ist auch für uns ein großes Ding, dem wir uns nicht stellen werden. Das Auseinandergehen von Plänen, die schwere Entscheidung  wie man damit umgeht, getrennt weiter zu tun oder doch einen gemeinsamen Kompromiss zu finden, alles das bewegt uns auch. Wir verbringen die Abende gemütlich an Bord, bekochen uns gegenseitig, tauschen Erfahrungen und Vorstellungen, was für die Reisen wichtig ist und was man sich alles erwartet aus. Uns wird immer klarer, wie unterschiedlich Segelreisen sind und wie unterschiedlich auch jedes Paar, jede Crew ihr Projekt angeht. Es ist die Herausforderung sich dem Neuen zu stellen, denn vieles ist vorgegeben und nur wenig zu beeinflussen, Anderes muss jedoch gestaltet werden, wobei es ungewohnt ist, alle Vorhaben sehr offen und immer mit, wenn es nicht geht was machen wir dann, zu planen. Und immer vorbereitet sein auf schweres Wetter, dass erfordert hohe Aufmerksamkeit und macht mehr oder weniger Angst. Es entsteht so eine Spannung zwischen Passivität, sich treiben lassen, es auf einen zukommen lassen und ständiger Vorbereitung um aus den Möglichkeiten das optimale rauszuholen und Gefahrensituationen rechtzeitig erkennen zu können. Da ist man oft mal frustriert und muss ersehnte Ziele links liegen lassen. Das ist eine der großen Herausforderungen denen ich mich gerade stellen muss, würde ich doch am Liebsten alle schönen Orte besuchen. Und in jeder Crew sind unterschiedliche Naturelle zusammen, auch wir müssen uns immer neu abstimmen, mir sind andere Dinge wichtig, beziehungsweise kann ich eben das am besten, ich lese viel und bereite mich auf den nächsten Abschnitt vor, Robert kümmert sich viel um Wetter und technische Dinge.
Die Freude am Segeln und das Vertrauen in Schiff und Mannschaft ist sicher eine wesentliche Voraussetzung damit das Ganze auch Spaß macht. Denn wenn man es als Sightseeingreise betrachtet, ist es besser die meisten Orte von Land aus zu besichtigen. Da kann man in kürzerer Zeit, bequemer mehrere Orte besuchen, wirklich entspannt an Land ist man ohnehin nur wenn das Boot sicher in einem Hafen steht. Schön hingegen sind die Möglichkeiten in abgelegener Natur zu sein, wobei auch das, je nach Revier sehr kompliziert werden kann. Auf Menorca und Ibiza zum Beispiel haben wir jeweils die Südküsten auslassen müssen und so wird es bei allen Inseln sein die wir jetzt im Atlantik vor uns haben. Die windzugewandte Seite ist Tabu, da hat man nichts verloren, will man nicht an den Felsen stranden und dann kann man nur hoffen, dass der Wind konstant aus einer Richtung weht, sonst heißt es auch mal nachts rasch Anker auf und weg, echt unbequem. Überhaupt hat auch Ankern immer was Unentspanntes, ist man sich halbwegs sicher dass der eigene Anker hält, sind da noch die anderen Boote die einem rammen können, die Erlebnisse aus Port Elms und Sant Antonio stoßen uns mit der Nase auf das Problem. Diese Liste der Einschränkungen, nicht zu vergessen, dass man nahezu im Schritttempo durch die Weltmeere zieht, machen deutlich wie sehr es einem auf einem Segelboot gefallen muss und wie viel Zeit man benötigt.
Überhaupt ist diese Art zu reisen mit sehr viel Arbeit verbunden. Robert hat ständig eine Liste und arbeitet so vor sich hin, in Gibraltar zum Beispiel brauchen wir eine neue Salzwasserpumpe, unsere leckt und ist seither stillgelegt, einige Rollen sind abgenützt, eine Feder gebrochen, ein Stiefel löst sich auf, Gas gehört wieder nachgefüllt und so weiter. Ist man nach einer längeren Segelstrecke endlich in einem Hafen angekommen, mehr oder weniger müde und erschöpft von den Nachtfahrten, beginnt man rasch mit Besorgungen, wobei man dafür viel recherchieren muss und oft umsonst kilometerweit mit der Gasflasche unterwegs ist, denn in jedem Land gibt es andere Flaschen, Füll-und Tauschsysteme. Hier hat die EU mit ihren Normen wirklich ausgelassen, wäre sinnvoll und praktisch und wahrscheinlich auch sicherer. Denn als eine Lösung Gas in seine Flasche zu bekommen ist eine landesübliche zu kaufen, sie mit einem Gasschlauch an die eigene ankoppeln und sie mit dem Prinzip der Schwerkraft und unterschiedlicher Temperatur von einer in die andere fließen zu lassen. Natürlich kann man die jeweils landesüblichen Flaschen auch direkt im Boot anschließen, man braucht allerdings jeweils die passenden Anschlüsse und muss an der eigenen Gasleitung ständig rum schrauben. Die blauen Campinggasflaschen sind auch eine Möglichkeit, wir haben jetzt noch eine als Notreserve, sie rosten schneller weg als man sie tauschen kann und teuer sind sie auch.
Alles zusammen beginnen wir unseren Reisestil auf die Umstände anzupassen, wir segeln jetzt lieber längere Strecken durch und bleiben dafür länger an einem gewählten Hafen. Damit hat man Zeit neben den Besorgungen und Arbeiten auch noch was von der Stadt und der Umgebung zu sehen, weil dafür ist man ja schließlich auch unterwegs. Die vier Tage in Cartagena waren gerade mal genug, wir konnten einiges erledigen, hatten Zeit für Treffen mit unseren Freunden, waren mehrmals in der Stadt, auch abends in einer Tapasbar und haben mit den Rädern die Umgebung erkundet. Für Museumsbesuche, die auch lohnenswert gewesen wären, war die Zeit dann doch zu knapp, wir wollten den angesagten Rückenwind nutzen um die 250 Meilen nach Gibraltar zu segeln.
Für diese Überfahrt, die ja eine Am -Land -entlang- Fahrt ohne Zwischenstopp ist, brauchen wir bei 4 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit zweimal Tag/Nacht und dann bleibt der Freitag für die restlichen Meilen um irgendwann bei Tag anzukommen. Leider nicht so, denn Donnerstag lässt der Wind fast ganz aus, wir wechseln mehrmals die Segel, bergen sie, wenn gar kein Wind ist, motoren zeitweise oder lassen uns treiben, wir kommen in den 24 Stunden gerade mal 60 Meilen weiter, also werden wir auch die Freitagnacht noch durchsegeln. Freitag ist dann auch nicht besser, zuerst noch ganz guter Wind, der aber rasch schwächer wird und, wir trauen unseren Augen nicht uns praktisch gar nicht mehr vorankommen lässt. Wir haben Strömung gegen uns, in fünf Stunden schaffen wir 12 Meilen, treiben lassen bedeutet jetzt rasch wieder zurück zu treiben, wenn das so weiter geht brauchen wir noch eine zusätzliche Nacht, Gibraltar zeigt sich schon von seiner unangenehmen Seite.

Das Land ist immer einige Meilen weg, man sieht im Dunst die Bergrücken und Ortschaften als zarte weiße Flecken, in der Nacht begleitet einem immer eine Lichterkette am rechten Horizont. Wir fahren gerade zwischen Küste und ausgewiesenem Verkehrstrennungsgebiet, dort drängen sich am AIS Schirm die großen Fähren und Frachter. Wir sind nahezu alleine auf der glatten, grauen Fläche unterwegs, der Dunst begleitet uns die gesamte Strecke und taucht alles in eine Schwarz-Weiß-Welt mit unzähligen Grauschattierungen. Sogar die Sonne passt sich an und zaubert weder zu Sonnenauf- noch Untergang Farbe ins Bild. Irgendwann ist es einfach deutlich heller, beziehungsweise dunkler, man ahnt die Sonne als hellere Stelle am Himmel, zu sehen ist sie allerdings nur selten. Und ohne Wind ist es unglaublich still, so wie wir es sonst nur vom Berg kennen, die Luft ist tropisch feucht, was alle Gegenstände eigenartig pickig macht und wir schwitzen vor uns hin.

Gibraltar ein magischer Ort, ein Nadelöhr raus aus dem Mittelmeer, immer mit Strömung Richtung Ost und genauen Anweisungen wie Wind, und Tidenhub sein sollen damit man durchkommt, es gibt Bedingungen da schafft man die ca. 15 Meilen als Segelboot einfach nicht. Westwind geht gar nicht und der ist für die nächste Woche angesagt, also warten in Gibraltar. Jetzt beginnt die Reise auf dem Atlantik, wir freuen uns schon drauf, sind aber neuerlich etwas verunsichert, denn vieles was einem dann Schwierigkeiten bereitet wie zum Beispiel diese Strömung haben wir in keiner Beschreibung gelesen. Hätten wir die Strecke anders angehen sollen, näher an der Küste? Oder ist es einfach Pech, weil der Wind und der Gezeitenstrom eben heute nicht gut zusammen gepasst haben. In der Früh gab es auch eine eigenartige Erscheinung am Wasser, kein Wind und das Wasser brodelt wie in einem Kochtopf und macht auch ähnliche Geräusche. Das Meer ist nach kurzer Zeit wieder glatt und leichte Welle zum Wind passend, was war das? Sonst gab es heute nur drei Vorkommnisse, so gegen sechs Uhr früh, es ist noch dunkel, fangen wir eine Fischerboje ein, Segel bergen und Robert taucht um die Leine am Ruder vorbeizuschieben. Kaum wieder frei treiben wir mit über zwei Knoten von der Boje weg, wenn Robert den Kontakt zum Boot verloren hätte, wäre er rasch abgetrieben und wer weiß wie lange man dann braucht um ihn wieder einzufangen. Zum Glück ist alles gut gegangen. Delphine begleiten uns auch immer wieder und nachmittags treibt dann ein kleines gelbes Schwimmbrett an unserem Boot vorbei, der einzige Farbtupfer des heutigen Tages und der Matrose dieses kleinen Gefährts ist ein Vogel, schlauer Kerl, warum fliegen wenn man auch bequem fahren kann. Zu guter Letzt explodiert meine Rettungsweste, so wie im Ernstfall, allerdings im Boot, in der Toilette, da kommt man nur mehr mit Mühe bei der Türe raus und sie liegt so eng an, dass man sie kaum ablegen kann. Sie ist dicht, würde also im Ernstfall funktionieren, ist gleich ein Wink alle Rettungswesten wieder mal zu überprüfen, wäre schade, wenn man eine kaputte anhat, wenn man sie braucht. Kommt auch auf die Todo Liste.

Samstagnachmittag ist Gibraltar endlich erreicht, wir nehmen die Marina Alcaidesa auf der spanischen Seite, mit Arbeit und Besichtigungen werden wir die Zeit bis zum günstigen Wetterfenster gut verbringen. Und dann hoffen wir auf ein bisschen Sicht, denn wenn alle Schiffe im Grau des Nebels verschwinden und man sie nur am AIS sieht oder erahnen kann, ist der Verkehr, der an die Südosttangente zur Rushhoure erinnert, unangenehm und nicht ungefährlich.

Jetzt wissen wir auch warum alle sagen, in Gibraltar muss man Geduld haben bis der richtige Wind kommt, wir liegen hier über eine Woche, beständiger Westwind, genau wie wir es nicht brauchen können, hält uns fest. Gleich am ersten Tag, noch bei bewölktem Himmel erklimmen wir den Upper Rock, was wäre Gibraltar ohne seine Affen. Der Aufstieg auf den steilen Treppen, die Wege im Naturpark, der Ausblick von oben sind sensationell und die Affen, die gelassen herumliegen, Mütter mit ihren Jungen und Jugendliche, die wie wild herumflitzen und alles klauen was sie in die Finger bekommen, sind echt eine lustige Nummer. Hier hat man wirklich den Eindruck, dass sie es genießen den Menschen zu zeigen wie arm sie dastehen, erschöpft, verschwitzt und viel zu langsam und ungelenkig. Sie turnen am Geländer an dir vorbei, springen über Menschen drüber, fangen sich am nächsten Ast und sind schon dahin. Und wenn man ihnen zu lästig wird, gehen sie auf Körperkontakt, beißen angeblich auch mal und die älteren schlendern dann erhaben davon, würdigen die Schar keines Blickes mehr. Da wir schon so nah dran sind besuchen wir Gibraltar später auch noch mehrmals mit dem Rad, der Kontrast zu Spanien außerhalb der Sicherheitskontrollen ist auffällig, „very british“, erinnert ein bisschen an Malta.
Nicht alle Ziele lassen sich mit dem Rad gut erreichen, Tarifa ist zwar am Wasser nur 15 Meilen entfernt, an Land muss man aber weit um die Bucht herum und über den Berg drüber und alles auf Schnellstraßen und Autobahnen, wir nehmen den Bus, der, wenn er fährt ca eine Stunde braucht. Zurück warten wir eineinhalb Stunden vergeblich und nehmen dann den Daumen. Eine nette Familie aus Málaga nimmt uns mit, die Tochter lernt sogar Deutsch, wir können uns ganz gut unterhalten.

Tarifa hat eine sehr nette, sehr touristische Altstadt, die Zahl der Bars und Nachtclubs erinnert ein bisschen an Ibiza, auch hier ist ein Inntreff. Ein Eldorado für Surfer und Skyter, also lauter junge, coole Typen. Die Strände sind gut besucht und die westliche Bucht ist voll mit Skytschirmen, sieht von oben wie eine Luftballonparty aus. Das Leben im Ort beginnt erst so ab 22 Uhr, davor sind so Tagestouristen wie wir unterwegs und genießen die Atmosphäre der engen Gassen und schönen Plätze. Vom Placa Miramar hat man einen tollen Ausblick auf die Straße von Gibraltar und auf die afrikanische Küste, ein Steinwurf entfernt. Ein besonderer Blickfang sind die bunten Fliesen, die in jedem Hausflur, an den Böden, manchmal auch an den Hauswänden oder auf Sitzbänken sind, zwischendrin immer wieder Fliesenbilder, fein gemalt mit unterschiedlichsten Motiven. Und manchmal tut sich ein Blick in einen Innenhof auf, gepflegt, schattig, mit Brunnen in der Mitte, die haben schon gewusst wie man baut damit man sich auch in der heißen Jahreszeit wohl fühlt.

Die Tage in Gibraltar vergehen rasch, es ist auch mal angenehm wo zu sein, immer wieder ins gleiche Geschäft einkaufen gehen, Kontakte mit den Bootsnachbarn zu pflegen und alle Reparaturen und Erkundigungen in Ruhe erledigen zu können.

Wenn wir hier loskommen werden wir gleich nach Portugal segeln um meine Schwester und Schwager noch zu treffen. mal sehen was uns in Portugal erwartet.