Sardinien

Julians Billigflug landet und startet in der Nacht, bzw. in den Morgenstunden, wir sind Dienstag schon zeitig unterwegs und bereits vor sieben Uhr zurück beim Boot. Es ist bereits Juni, die Saison hat begonnen, die Marinapreise haben sich über Nacht verdoppelt, wir packen zusammen und rauschen ab. Ein letztes Mal ankern auf Levaza, wunderschöne Bucht, ein Traumabend mit Thunfischfilets vom Markt, dann noch einige Stunden den Schlaf der letzten Nacht nachholen und für die Überfahrt vorschlafen. Noch vor Mitternacht legen wir ab, mit sieben Knoten in die mondhelle Nacht. Die Lichter von Trapani, das Leuchtfeuer von Favignana, die Umrisse von Marettimo, eine fast glatte schwarze Wasserfläche. Das gleichmäßige Rauschen der Wellen, die das Boot im Lee erzeugt, man sieht auch die weißen Schaumflächen, wie sie unter dem Boot hervorkommen und sich in der Fläche verlaufen. Der Mond, fast Vollmond zaubert eine große Glitzerfläche aufs Wasser, ein schöner Kontrast und rund um uns Sterne, teilweise so nah und hell, dass man sie mit dem Licht eines anderen Bootes verwechseln könnte. Wir sind fast alleine unterwegs, zwei Fischerboote fahren in Sichtweite vorbei, das Motorengeräusch hört man schon bevor man sie sieht und auch noch lange danach. Sonst ist vollkommene Stille, nur unser Schiff spricht mit dem Wind und den Wellen, rauschen, glucksen, manchmal ein metallisch klingender Klaps und ein Ruck, wie wenn jemand geschupst hätte. Alles vertraute Geräusche, die man automatisch registriert und die einem entweder bestärken, dass alles in Ordnung ist, oder einem warnen, achtsam zu sein, zu kontrollieren, etwas zu verändern. Vielleicht ist es auch deswegen so normal, dass man sich keine Musik einlegt, dass man sich als Teil der Bewegung der Ruhe hingibt. Für mich neu, normalerweise war ich in der Nacht bei der Arbeit nur wach wenn was zu tun war, das stundenlange "Nichts" macht mich müde. Ich stelle mir den 15 Minuten Wecker und döse vor mich hin. Später werde ich von Robert abgelöst und ziehe mich in die warme Koje zurück. Morgenstunden, die Nacht zieht sich zurück, der Tag beginnt orangerot und bald glitzert es unter der Sonne am Wasser. Der Wind ist nur noch ein Hauch, wir bewegen uns über die jetzt blaue Fläche, wie eine Katze die sich anschleicht. Wir sind froh, dass wir noch unter Segel vorankommen, auch wenn nur sehr langsam, aber das Motorengeräusch und der Spritverbrauch sind keine Alternative und wir haben Zeit. Es ist egal ob wir einen Tag früher oder später in Sardinien ankommen und weil keine Welle ist, sind alle Bewegungen sanft und gleichmäßig, sehr angenehm, inspirierend. 

Ich schreibe über diese Szenerie mit meiner Begeisterung und möchte auch alle, die im Alltag in einem ganz anderen Tempo und Rhythmus unterwegs sind, an dieser Stimmung teilhaben lassen. Es ist so schön, es ist die Zeit, sich von Sizilien, den Erlebnissen, der Aktivität zu verabschieden und sich auf Sardinien vorzubereiten. Ich verspüre erstmals das Gefühl, gar nicht rasch ankommen zu wollen, diese Zeit zum Verarbeiten zu brauchen, sonst fühle ich mich übersättigt. So kann man es am besten beschreiben. Der Tag gehört uns, ganz alleine im Universum, alles ist ruhig, wir gleiten gleichmäßig, langsam dahin, schlafen, beobachten die Wasserfläche, den Horizont, die Libelle und Delphine die uns begleiten, man verliert Bezug zu Raum und Zeit. Abends schauen wir mal auf die Karte und das GPS wie weit wir gekommen sind, uns trennen noch 60 Meilen von Sardinien, meist um die 3 Knoten Fahrt, die Nacht verbringen wir noch am Wasser, gegen Früh müsste dann „Land in Sicht“ kommen. Der Sonnenuntergang bietet ein Schauspiel von über zwei Stunden, lange nachdem sich die orange Kugel hinter dem Horizont verabschiedet hat, ist es noch hell, der Himmel orange, rot, bis violett, oben türkis, hellblau, dunkel auslaufend, das Meer zuerst noch blau bis silbrig, später zunehmend dunkel, dann schwarz. Es braucht lange bis der Mond und die Sterne ihren Platz wieder einnehmen und die Nacht vollkommen ist. So wie die Sonne sich im Westen verabschiedet hat taucht im Osten der Vollmond, orangerot auf, man könnte glauben die Sonne ist schon wieder da. Unser Schiff schaukelt langsam dahin, so fühlt es sich an wie in einem sicheren Nest, geborgen in der Weite des Universums, nur unter Segel lässt sich alles so intensiv erleben, das Wunder der Natur. 

Sonnenuntergang ist eine Zäsur, das Tagwerk wird beendet, es fühlt sich gut an, man ist zufrieden oder man nimmt Arbeit und Sorgen mit in die Nacht, wie öfters erlebt im Arbeitsalltag. Auch in Österreich hab ich die Sonnenuntergänge am Heimweg auf der Westautobahn genossen, nur die Ruhe und Intensität wie hier am Meer hatten sie nie, weil ich auch nie die Zeit dafür hatte. 

Zufrieden beginnt die Nacht, es könnte ein bisschen mehr Wind sein, der Gedanke schleicht sich ein, ich will diese Vollkommenheit aber nicht kritisieren sondern genießen. In Roberts Nachtschicht ist es dann soweit, der Wind ist eingeschlafen, wir stehen. Robert lässt den Motor mitlaufen, mit wenig Schub kommen wir dann doch mit vier Knoten weiter. 
Die Sonne kommt verlässlich blutrot im Osten hinter dem Horizont hervor, der Mond steht hoch oben im Westen, Wachablöse, der Mond lässt sich Zeit bis er am hellblauen Himmel verschwunden ist. Sardinien ist wirklich schon am Horizont zu sehen, noch 24 Meilen entfernt, jetzt begleiten mich Delphine eine Zeit lang und sie springen extra oft aus dem Wasser, zwei Synchronschwimmer sind auch dabei und so nebenbei gleitet auch noch eine Schildkröte vorbei. Die Südostspitze Sardiniens ist ein Naturschutzgebiet, vielleicht sind das schon die ersten Bewohner von dort. Verlässlich zum Ankommen frischt der Wind wieder auf, die letzten Meilen geht es wieder zügig voran, vorbei an den vorgelagerten Inseln, dem Naturschutzgebiet in die Bucht von Vasillimus, inzwischen ist es schon drei am Nachmittag. Eine karibische Bucht, groß, türkises Wasser, vier Meter tief, vereinzelt Granitfelsen mit Seegras, wunderschön. Einige Schiffe liegen schon vor Anker, es dauert nicht lange und wir treffen uns mit der Crew von der Chiona, essen bei ihnen an Bord vorzügliche Spaghetti mit Shrimps und tauschen Reiseerinnerungen aus. Wir müssen bereits am nächsten Tag weiter um rechtzeitig in Cagliari zu sein und Sabine vom Flughafen abholen zu können. Vor dem Stadtstrand Poetto ist ankern erlaubt, von dort geht ein Bus in die Stadt und ein Zug zum Flughafen, alles klappt problemlos, der Urlaubswoche steht nichts mehr im Wege. Wir segeln sonntags zurück in die tolle Bucht an der Südostecke, mit dem Plan durch das Naturschutzgebiet zu segeln und ein Stück die Ostküste hoch. Es kommt alles anders, denn zuerst genießen wir das ankern und baden bei vorerst kaum Wind, dann drei Tage starker Wind aus Nordost, damit fällt die Ostküste flach. Ein zaghafter Versuch nur ein bisschen um die Ecke an den Felsen entlang zu segeln scheitert an heftigen Böen und zunehmenden Wellen. Unter den Bedingungen kann man nicht in Ruhe schauen und beobachten, man zischt an den Felsen vorbei, braucht reichlich Abstand und ist froh, wenn es wieder ruhiger dahin geht. Also abdrehen, Genua reffen und wie anschließend geplant in eine der schönen Buchten auf dem Weg zurück nach Cagliari. Bei so viel Wind gräbt sich der Anker fest in den Sand ein, wir stehen gut, trotzdem beobachten wir besorgt, wie sich die Kette in den Böen spannt um dann wieder auf den Meeresboden zurück zu sinken. Sicherheitshalber legen wir noch 10 Meter Kette nach, wir wollen ja nicht in der Nacht aktiv werden müssen, wenn der Anker wieder mal ausreißt. Leider bleibt das Wetter bis zum Wochenende stürmisch, sogar mit Gewittern und Regenschauern und weil sich über die Tage auch hohe Welle aus Südost aufgebaut hat, kommen hier an der Südküste nur wenige Buchten zum Verweilen in Frage. In den Meisten würde die Welle uns ständig schaukeln und rollen, wie vom Anfang der Reise bekannt, nicht erstrebenswert und auch nicht ungefährlich. Und so sind wir in der Woche nur wenig gesegelt, dafür bis auf den Abschluss  gut und sicher gelegen und ausreichend zum Baden und Genießen gekommen. Mit Sabine waren meine täglichen Turnstunden ein Highlight, denn als ehemalige Trainerin sind immer neue Übungen dazugekommen, da kennt man anschließend wieder alle Muskeln, auch die fast vergessenen, untrainierten.

Samstag wieder zurück in Cagliari geht sich noch eine Stadtbesichtigung vor dem Heimflug aus und abends können wir auch Roberts Eltern gleich vom Flughafen abholen. Ursprünglich hätten wir das alles vom Poettostrand aus geplant, doch dort erwartete uns samstagfrüh heftigster Wind und drei Meter Welle genau auf den Strand zutonnernd, ein Liegen und mit dem Beiboot an Land fahren unmöglich. Wir plagen uns schlussendlich sogar gegen die Welle um das Huck herum, danach ging es ohne Segel vor dem Wind mit vier Knoten in den Hafen von Cagliari, so heftig schiebt der Wind das Boot vor sich her. Sabine zieht solche Aktionen an, hatten wir jedes Mal wenn sie bei uns war, sie ist seetauglich, anders wäre es uns aber allen lieber gewesen. Noch ein spannendes Anlegemanöver bei 30 Knoten in den Böen, Ende gut alles gut, da schmerzen die hohen Marinakosten kaum mehr. 
Nahe der Stadt in der Marina liegen hat ja auch Vorteile, einkaufen, Wäsche waschen, Wasser bunkern, bequem ein und aussteigen. Cagliari ist mit 150 000 Einwohnern eine schon recht große Stadt, der Weg von der Marina zum Bus erweist sich dann doch als recht weit und auch so kommen ganz schön viel Kilometer zwischen den Stadtvierteln zusammen. Stadtbesichtigung macht müde, noch einmal zurück zur Marina, Sabines Trolly holen und mit Bus und Bahn zum Flughafen und mit den zwei Gepäckstücken der Eltern wieder zurück. Ein langer anstrengender Tag.

 

Sonntags dann wieder wenig Wind, bestens geeignet für den Einstieg mit unseren neuen Gästen. Wir nutzen den Nachmittag, segeln vorbei am Ölhafen und den ankernden Großschiffen bis in die Costa Del Sud, das nächste Traumrevier, man gönnt sich ja sonst nichts. 

Roberts Eltern sind noch sehr fit, klettern den Niedergang auf und ab und über die Badeleiter rein und raus. Zwei schöne Badetage gehen sich aus, dann kommt die nächste Schlechtwetterfront, diesmal von Westen und davon auch nicht zu wenig, garniert mit einzelnen Gewittern und Regenschauern. Die letzte Etappe bis in den sicheren Hafen von Teulada plagen wir uns schon wieder gegen Welle und Wind, anlegen bei Starkwind, warum geht das nie anders? Nach der letzten Nacht vor Anker in der es schon recht geschaukelt hat und der ruppigen Fahrt, ein echter Genuss ganz ruhig zu liegen und das Pfeifen des Windes als Hintergrundgeräusch ohne Stress vorbeiziehen zu lassen. So wie es ausschaut werden wir jetzt einige Tage hier bleiben und erst bei deutlich komfortableren Winden wieder weiter ziehen. Hier sitzen wir zwar am A der Welt, ohne jede Infrastruktur, der nächste Ort, Teulada, 8 km weit im Landesinneren, mal sehn ob wir den in unserer Zwangspause hier noch erreichen. 
Es bläst jeden Tag, kein Badewetter, wenn überhaupt geht man nur kurz rein, am Strand, wo es seicht ist, bekommt man nicht gleich einen Kälteschock, aber angenehm ist anders. So drängen sich Landausflüge auf, ein Tag mit dem öffentlichen Bus nach Teulada, ein Ort der verschlafender nicht sein könnte. Im obligatorischen Straßencafé bereichern wir die männliche Stammgästerunde, die Supermärkte eher bescheiden vom Angebot, nur der Fleischer befriedigt unsere Einkaufswünsche, Steaks zum Nachtmahl. Für Samstag nehmen wir dann ein Leihauto und kurven 150 km über die Insel, vorbei an den historischen Stätten dieser Gegend, besuchen Santadi, Siliqua, Iglesias, Sant Antioco, eine Sightseeingtour garniert mit Einkäufen, denn Auto und Supermärkte ist eine Pflichtkombination für Segler. Wir stocken unsere Vorräte an haltbaren Lebensmittel und Getränken auf, denn auf den Balearen wollen wir nur selten anlegen und so werden wir die nächsten 6 Wochen nur wenig und frisches nachkaufen. Besonders freut uns wieder einmal lokalen Wein direkt aus den Edelstahlbehältern abgezapft zu erstehen, Erinnerungen an die Marina Stella, den Beginn unserer Reise kommen auf und der Weißwein schmeckt tatsächlich wie der Malvasia aus Norditalien.

 

Mit Sonntag auslaufen wird es dann doch nichts, noch ein Tag starker Wind den wir aussitzen, aber Montag hält uns dann nichts mehr, wir wollen auf jeden Fall mal gegen Westen, vorbei am militärischen Sperrgebiet, irgendwo bei Sant Antioco ankern. Bis Samstag, dem Abflug von Roberts Eltern wollen wir noch ausgiebig baden, denn vom rumstehen und Landausflügen haben wir jetzt erst mal genug. Man müsste hier im Frühling nochmals vorbeikommen und die Insel durchwandern, dafür bleibt jetzt keine Zeit auch ist es schon untertags zu heiß. Für uns heißt es dann wieder zusammenpacken und für die nächste Überfahrt vorbereiten. Da gilt es noch den Transfer von Portoscuso zum Flughafen zu checken, wie sich herausstellt nicht ganz einfach. Portoscuso scheint seit den Beschreibungen im Internet entvölkert zu sein, wichtige Infrastruktur ist nicht mehr vorhanden, die freundliche Dame in der Touristeninformation spricht kein Wort Englisch und auf Italienisch können wir ihr weder Busfahrpläne noch sonstige Informationen herauslocken. Deutlich mehr erreichen wir dann im Hotel ums Eck. Schlussendlich reservieren wir telefonisch ein privates Taxiservice um 80 Euro.  Und das fix eingeplante Wäsche waschen ist hier auch nicht möglich da der Waschsalon vor einem Monat geschlossen hat. Nachdem Bettwäsche und Badetücher schon vor Salz stehen können und auch den typischen Meeresgeruch verbreiten, sind sie bereits in Säcken zusammengerichtet und warten auf ihre Erfrischungskur. Uns bleibt nur, das Internet nach alle Lavanderias, Self-wash Service und so weiter zu durchforsten, von Calasetta über Carloforte bis Mahon, so wird Wäschewaschen zu einer immer wieder sehr aufwendigen Aktion. Echt blöd dass hier auch schon fast jeder eine Waschmaschine zu Hause hat und so öffentliche Waschsalons unnötig machen.

Donnerstagabend ist so weit alles organisiert, alle sind erleichtert und so bleibt Freitag noch Zeit für einen Ausflug nach Carloforte, welches wir eigentlich noch unter Segel anlaufen wollten. Wir kommen gerade rechtzeitig zum Beginn eines Kulturfestivals, Straßenmusik, Stände mit lokalen Spezialitäten und Informationen verschiedener Vereine. So ab fünf nachmittags kommt Leben auf, alt und jung bevölkern die geschmückten Gassen, die schattigen Plätze an den zahlreichen Bänken sind dicht belegt. Kinder wuseln in der Menge herum oder tanzen zur Musik, es wird laut, eben italienisch, fröhlich, ausgelassen. Carloforte ist ein Schmuckstück dieser Gegend, die bunten Häuser mit Liebe zum Detail renoviert, ein lebendiger Ort, der nicht nur für den Tourismus herausgeputzt ist. Vor lauter schauen verpassen wir fast unsere Fähre wieder zurück nach Portoscuso, unserem ausgestorbenen Kontrastprogramm.

Sizilien den Rücken kehren und Menorca anpeilen. Drei Wochen Sardinien sind schnell vergangen, eine Insel, die wir als Urlaubsziel ins Herz geschlossen haben, sauber, gepflegt, wunderschöne Landschaft, interessante Kultur, freundlich, Aktivitäten für jeden Geschmack was dabei, man könnte es hier länger aushalten... und weil ich mich nicht wiederholen mag seniere ich jetzt nicht über meinen inneren Konflikt zwischen bleiben und weiterziehen, denn den Deal hab ich mit der Reise mit abgeschlossen, der wird mich begleiten, Abschied und immer das Gefühl etwas nicht genutzt zu haben.