Unterwegs

Wieder unterwegs, wann ist der richtige Moment aufzubrechen, Segel zu setzen, auszulaufen? Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, alles eingekauft und verstaut, Informationen über die Häfen die wir anlaufen können, so weit möglich, eingeholt, die Strecke auf der Karte gemessen und der Kurs gepeilt. Emotional haben wir uns von Malta verabschiedet und unser nächstes Reiseziel Sizilien angepeilt. Was sagt der Wind zu unserem Vorhaben? Hier auf Gozo haben wir kein Internet mehr, Robert holt die Wetterinfos über Kurzwelle, die nächsten drei Tage sind wenig Wind zu erwarten, von Rückenwind bis genau gegen uns ist alles drin, die Welle langsam abnehmend, was ja auch zu dem wenigen Wind passen würde. Danach zwei Tage starker Wind aus Nordwest oder Nord, sollen wir noch bis dahin hier warten? Wir sind uns einig, dass die Prognose bis dahin sicher noch Änderungen erfahren wird und wir hier nicht umsonst warten wollen, ich bin sicher noch ungeduldiger endlich wieder zu segeln, zwei Wochen an Land sind eine lange Zeit. Ich möchte los. Endlich gegen Mittag leichter Wind, wir setzen Segel, gemächlich gleiten wir an Gozo vorbei, dann ein paar Stunden herumstehen bis endlich wieder Wind aus Nordost kommt, ideal, wir kommen gut voran, ein Traum hier am Wasser, ich lese, genieße die Weite, beobachte Frachter, die sich in der Ferne vorbei schieben und hänge meinen Gedanken nach. Wieder eine Nachtfahrt vor uns und morgen in Italien ankommen.

Wenn man segelt ist man so langsam unterwegs dass die Seele mitreisen kann und trotzdem kommt es einem unheimlich schnell vor von einem Einlassen zur nächsten Umstellung. Müsste man noch langsamer Reisen oder am besten gleich wo länger bleiben und Wurzeln schlagen? Kann man den richtigen Rhythmus finden oder sind es widersprechende Gefühle zwischen Bleiben und Gewöhnen und der Neugierde auf Neues, die sich beide melden? Dazu kommen noch zeitliche Vorstellungen und vereinbarte Treffen, die das Tempo mitbestimmen. Unser Rhythmus ist eine Mischung aus all dem, eingebettet in viele Überlegungen, geleitet vom Gefühl, angepasst an äußere Bedingungen, eine Freiheit, die wir hier jetzt lernen, ein Leben, wie wir es uns gewünscht haben. Zeit für uns, für Begegnungen und zum Glück auch Treffen mit Freunden und Familie. So viel Zeit gemeinsam zu verbringen hatten wir früher nicht und uns auch nicht genommen, schön, dass es jetzt möglich ist. In der Woche mit meinen Eltern haben wir viele Erinnerungen ausgetauscht und auch viel erfahren, was sie so alles als Jugendliche erlebt haben, auch sie sind viel gereist, in der Natur unterwegs gewesen. Mein Vater hat uns auch gleich alle Pflanzen um uns herum vorgestellt und uns so animiert Kapern zu ernten und einzulegen. Wenn sie so gut gelingen wie unsere Oliven, Orangen- und Zitronenrezepte, bereichern sie unsere kulinarische Reise. 
Ankommen in Sizilien, alles läuft nach Plan, die Küste ist, wie berechnet zu Sonnenaufgang in Sicht. Da der Wind angenehm bläst entschließen wir uns den Tag noch weiter Richtung Westen zu segeln. Empedolce sollten wir noch erreichen, ein großer Hafen auch mit Ankermöglichkeiten laut Hafenhandbuch. Bürokratische Tretmienen scheinen sich überall zu verstecken, jedenfalls waren wir kaum im Hafen drin und wollten es uns gerade gemütlich machen kommt die Port Marine, kontrolliert unsere Papiere und erklärt, leider nur auf italienisch, dass wir hier nicht bleiben dürfen. Also wieder raus und auf der großen Sandfläche vor dem Hafen Ankern. Zum Glück ist die Nacht völlig windstill, wir stehen gut. Die eigentliche Überraschung offenbart sich erst nächsten Morgen als wir das Papier, welches sie uns in die Hand gedrückt haben, genauer beäugen, es ist ein Strafzettel mit einer einzuzahlenden Summe, die einem die Ohren anlegen lässt, 30 Tage Zeit für Berufung, 60 Tage Zeit zum Einzahlen. So und jetzt ist guter Rat teuer, in Internetforen, jetzt haben wir ja wieder guten Zugang, ließt man von ignorieren bis zahlen alles. Wir liegen bereits in der 3nm entfernten Marina und fragen dort die Frau Marinero. Auch sie bestätigt uns die Summe von 2043 Euro, findet es echt überzogen, hat aber mit denen in Empedolce nichts zu tun und kann uns so auch nicht behilflich sein. Wir radeln mal hin zur Behörde und schauen was sich machen lässt. Persönlich geht es oft doch am Besten.

Alle sehr freundlich, von fünf Beamten, die zusammengetrommelt werden und heftig diskutieren, kann einer etwas Englisch und wir einigen uns, dass wir eine Berufung abgeben werden und hoffen, dass Gnade walten wird. Der zuständige Hafenmeister ist ohnehin nicht persönlich zu sprechen und alle anderen haben nicht die Kompetenz was zu entscheiden, dieses System kommt einem bekannt vor, sehr schlau.
Für uns ist es schon komisch wie schnell man abgestraft wird, Verständigungsschwierigkeiten hat, ein Bittsteller ist. Zurück an Bord verfassen wir dann unser Schreiben auf Englisch und mailen es, nochmal fast 40km zum Teil auf einer Schnellstraße radeln um es persönlich abzugeben wird auch nichts ändern, da tut's das Mail auch. 

Es ist wirklich nicht leicht es mit den zur Verfügung stehenden Informationen immer richtig zu treffen,  Malta wurde als sehr genau und kompliziert beschrieben, Anmeldung per Funk, Abmeldung wenn man den Hafen verlässt, auch innerhalb Maltas. Außer einem Funkkontakt beim Einlaufen war dann Funkstille. Keiner wollte mehr was von uns, wir haben weder einklariert noch uns abgemeldet, sind frei in Malta herumgefahren, es war wurscht. Und hier in Italien wird scharf geschossen und kontrolliert. Wir lernen daraus, werden uns in jedem Hafen anmelden und mal fragen ob wir hier sein dürfen, werden uns auch an die Gebräuche gewöhnen. 
Abgesehen von dieser Kleinkariertheit mit der wir empfangen wurden präsentiert sich Sizilien so wie ich es von früher kenne. Geschäftig, freundlich, voll Energie. In den Häfen gibt es meist Stege, die von Yachtclubs betreut, Gastliegeplätze bereit halten, bisher zu moderaten Preisen. Wir sind auch gleich wieder mit unseren Rädern unterwegs und erkunden das Hinterland, welches hier sanft hügelig, mit Wein, Oliven und Gemüsefeldern sehr hübsch aussieht, dahinter höhere Berge mit Windrädern. Radeln wie in der Südsteiermark oder Toskana, jedoch der Blick aufs Meer, die langen Sandstrände, schönen Anwesen und Villen sind hier schon sehr besonders. 


Die Städte sind eher schmutzig und zusammengewürfelt, alte Bauten und Hochhäuser, stillos gemischt und oft hat der Zahn der Zeit schon ganz schön genagt. Sciacca ist so ein Ort, ein riesiger Hafen, hier steht eine der größten Fischereiflotte Siziliens, man riecht es schon an der Hafeneinfahrt, es fischelt. Wir scherzen, dass wir hier nur den Burger und den Salat brauchen und schon einen Fish Mac gegessen haben. Das Wasser ist eine stinkende braune Brühe, der Gaststeg klapprig. Trotzdem sind wir froh bei fast 20 Knoten gut angelegt zu haben und jetzt mal sicher zu stehen. An der anderen Seite des Hafenbeckens, wo die Trawler anlegen wird direkt vom Boot und davor parkenden Klein LKWs die frischen Meerestiere verkauft. Die Spezialität hier sind Shrimps, Robert schleicht um die Autos wie die Möwen hinter den Fischerbooten und checkt den Verkaufsmodus und die Preise. Zuletzt kaufen wir eine halbe Styroporbox voll Shrimps, ca. 1,5 Kilo, die kleinste Menge die wir aushandeln konnten, am liebsten hätten sie dir gleich alles von der Ladefläche in Säcke gefüllt und mitgegeben. Diese Menge Shrimps ist schon viel für zwei Personen und mit dem Auslösen hat man sich sein Essen verdienen müssen. Alle fertig gepellt, bleibt noch was für die nächsten Tage, da sind sie dann bequem zu verspeisen. 

Ist es, weil es noch früh in der Saison ist, oder weil die Küste ohne Buchten mit nicht besonders einladenden Häfen nicht attraktiv ist? Wir sehen weit und breit keine anderen Segler, so alleine beschleicht einem das Gefühl, dass hier irgendwas faul ist. Verunsichert durch unsere erste Strafe fragen wir uns jeden Tag, dürfen wir da Ankern, wer ist für den Hafen zuständig, denn das mit dem anfunken bevor wir in den Hafen einlaufen hat kein weiteres Mal  Resonanz gezeigt, Funkstille in allen anderen Häfen, außer zuletzt in Trapani. Da wir ohnehin nicht jede Nacht Hafengebühren zahlen wollen haben wir meist vor den Häfen geankert, bisher erfolgreich. Mittwoch ist wieder Südwind, den nutzen wir gleich um bis zu den Ägadischen Inseln zu segeln. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung nach Trapani, der nordwestlichste Hafen auf Sizilien, dort werden wir Julian an Bord holen und später auch nach Sardinien starten. Auf dem Weg Richtung Favignana, die erste der Ägadischen Inseln die wir anlaufen wollen, tauchen auch immer wieder Delphine auf, auch die sind anders als bisher kennen gelernt. Hier sind sie alleine, ziehen vorbei ohne näher ans Boot ranzukommen und eine Weile am Bug mit zu schwimmen. Haben die schlechte Erfahrungen gemacht, ist es eine spezielle Sorte, die anders unterwegs ist? Trotzdem erfreut mich der Anblick jedes Delphins, sie haben ja, seit wir als Kinder unseren Freund Flipper im Fernsehen gehabt haben, eine besondere Stellung unter den Meerestieren und angeblich haben sie wirklich immer wieder Segler vor gefährlichen Stellen gewarnt. Mit Rückenwind ist es eine bequeme Fahrt, die Umrisse der Inseln heben sich schon bald aus dem Morgendunst ab, es ist noch feuchtkalt von der Nacht, trotzdem genießen wir die Stimmung und die Sonne, die sich langsam durchsetzt. Gegen Mittag ist die Südküste der Insel vor uns, einige schöne Buchten, ein kleiner Ort, heute ungeeignet, weil Wind und Welle von Süd kommt, wir nehmen die Cala Rotondo an der Nordwestseite um gut geschützt zu ankern. Eine Bilderbuchbucht, wir sind die einzigen Segler und können uns mitten rein stellen. Klares türkises Wasser, unerfreulicherweise mit unzähligen kleinen Quallen, schade, wenn man hier baden wollte. Zum Glück haben wir eh noch die Wollsocken an. 

Der tägliche Wetterbericht verheißt für die nächsten Tage nichts Gutes, der Wind nimmt wieder einmal auf 70kmh zu und soll mit Gewittern und Regen einige Tage anhalten. Wir überlegen welche Ankerbuchten auf den Inseln für uns in Frage kommen, entscheiden uns dann aber lieber gleich nach Trapani zu segeln und dort die Tage für Einkäufe, Wäsche waschen und Ausflüge zu nutzen. In der Marina liegen wir sicherer und bequemer, wir lauschen nächtens zufrieden dem Heulen des Windes, drehen uns um und schlafen beruhigt weiter, keiner muss schauen ob der Anker hält. Die Räder sind wieder jeden Tag im Einsatz, sogar auf den Monte Erice kommen sie mit, obwohl wir uns die 700 Höhenmeter mit der Gondelbahn raufbringen lassen und nicht bergauf strampeln. Bergab zeigt sich die Serpentinenstraße in ihrer ganzen Pracht, sie geht um den halben Berg herum mit wunderschönen Panoramablicken auf die Nordküste und Trapani. Und unten angekommen erwärmen wir uns auch langsam wieder, der Berg war dick in Wolken gehüllt, der Wind kalt und heftig, sogar mit Windjacken war es ungemütlich. Erice ist ein historischer Ort, gut gelegen, weil kaum einnehmbar, reich und angeblich ein Ort der Liebe. In der uns gebotenen Schlechtwetterstimmung versprüht der Ort wenig Charme, macht eher einen zurückgezogenen, wehrhaft, abweisenden Eindruck, aber vielleicht ist es ja hinter den Mauern gemütlich, dass bleibt einem beim Durchstrasseln nämlich verborgen.

Kulinarisch gibt es in Erice und Trapani auch einiges Besonderes. Spezielle Spiralnudeln -Busiata, viele Couscousgerichte, süßes Konfekt und Cannoni mit Ricotta oder Eis, das sind Waffeln, die den steirischen Strauben ähneln, sehr gut und gehaltvoll.

Das Wetter verwöhnt auch hier nicht mit Hitze, es bleibt windig, teilweise bewölkt und regnerisch, trotzdem segeln wir mit Julian wieder raus zu den Ägadischen Inseln, die Urlaubswoche wollen wir nutzen. Die erste Nacht pfeift es nochmals so heftig, dass sich der Anker löst und wir gegen drei Uhr rasch ein neues Ankermanöver fahren müssen. Auf dem Grund mit Seegras hält der Anker nicht gut, auch eine andere Yacht in der Bucht muss neu ankern, eine unruhige Nacht. Unsere Entscheidung, uns diesen Stress die letzten Tage mit Starkwind nicht antun zu wollen, wird damit wieder bestätigt. Der Rest der Woche gibt sich mit moderaten Winden und ausreichend Sonne, erste zaghafte Versuche im Meer zu baden inbegriffen. Wir segeln jeden Tag ausgiebig zwischen den Inseln herum, nicht nur, weil der Wind fast ideal fürs Genusssegeln ist, nein, weil Julian und Robert mit bis zu vier Schleppangeln das Anglerglück erzwingen wollen. Schöne Stunden, Erholung pur, vielleicht auch weil uns der Stress eines Kampfes mit einem Fisch erspart geblieben ist. Wir entschädigen uns übrigens mit Thunfischfilets vom Fischmarkt, hier verkaufen sie großen roten Thuna vom Feinsten.

Hier auf den Ägadischen Inseln ist es so schön, wie in allen Unterlagen beschrieben, sie sind ein Naturschutzgebiet, trotzdem ist es in einigen Buchten erlaubt zu Ankern. Sehr malerisch und einsam, ein Ort auf Favignana, in dem man das nötigste bekommt und die Distanzen zwischen den Ankerbuchten sind, nur wenn man sich bemüht weiter als 15 Seemeilen. Also in jedem Fall rasch erreichbar und dass ist für sizilianische Küstenverhältnisse wirklich was Besonderes. Im Hochsommer müssen wir allerdings nicht unbedingt hier sein, angeblich tummeln sich da hunderte Yachten, da ist jeder noch so schöne Ankerplatz überfüllt und ungemütlich und Häfen sind dann auch empfindlich teurer, eben Saison. Am Wochenende bekommen wir einen ersten Vorgeschmack, Sonntag füllt sich die Bucht mit 10 Motorbooten und 5 weiteren Seglern, italienische Wochenendausflüge mit der entsprechenden Manpower und Lautstärke, in dieser Menge noch mit Ankeridylle vereinbar. 

Dieses Problem wird uns allerdings über den Sommer begleiten, denn der Weg bis Gibraltar ist von Urlaubsgebieten in Hochsaison gepflastert, da werden wir uns durchkämpfen müssen, oder eben gezielt entlegene Orte suchen und auf Städte und Zentren verzichten. Dann wird es ähnlich sein wie Sommer in Kroatien oder auf den Kykladen, da ist man schließlich auch nicht allein unterwegs. Auf jeden Fall spannend was auf uns zukommt und in jedem Fall werden wir jede Gelegenheit mit stabilem Internet nutzen und uns alle möglichen Informationen holen, denn Vorschriften, Ankerverbote und co werden überall ausgeweitet und auch anderswo teuer bestraft.

So eine Urlaubswoche tut gut, auch bei uns stellt sich wieder das Gefühl von Urlaubssegeln ein, langsam wird es auch Sommer, so wie man sich eben segeln vorstellt - mit viel Baden und gemütlich kurzen Strecken. 
Die Woche hat uns, dank Julians Hartnäckigkeit, doch noch selbstgeangelten Fisch beschert. Gut beobachtet hat er drei Baracudas in einer Felsbucht stehend erwischt. Drei Prachtstücke, je 60cm lang und gesamt 2,2kg  schwer. In dieser Bucht haben wir schon in der Früh aufgeregt einen kleinen Fischer beobachtet, der zwei riesige Thunas an Land in ein Kühlauto schaffte. Jeder sicher über 100 kg, Julian ist hin und hat schleppen geholfen. Fotografieren wollten sie sich nicht lassen, wahrscheinlich eine nicht ganz legale Aktion hier im Naturschutzgebiet. So rasch wie sie da waren, waren das Boot und das Kühlauto dann auch wieder weg.

 
Die Woche ist rasch vergangen, Julian wieder am Heimflug. Von Sardinien trennt uns noch eine Überfahrt 160 Seemeilen, wieder Tag/ Nachtfahrt. Dort geht es dann so weiter, zuerst Urlaubssegeln mit meiner Freundin Sabine, dann mit Roberts Eltern.